Rezension: ‘Kleiner Mann – was nun?’ von den Münchner Kammerspielen

deutsch,recensies — simber op 17 mei 2010 om 14:40 uur
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Zuweilen hat man dazu keine Lust: Muss ich wieder vier Stunden Theater ansehen, wieder auf diesen furchtbaren Stühlen des Hauses der Berliner Festspiele sitzen? Allerdings diesmal wird die Ausdauer belohnt.

Kleiner Mann – was nun? ist ein außerhalb Deutschlands kaum bekannter Roman (von Hans Fallada) über die Krise der 30er Jahre. Der ‘kleine Mann’ des Titels ist Johannes Pinneberg, der Angst hat seine einfache Stelle zu verlieren, gerade jetzt wo er für seine schwangere Frau Emma (“Lämmchen” genannt) sorgen muss. Die Geschichte des Paars hangelt sich entlang Anstellung und Arbeitslosigkeit, Hoffnung und Verzweiflung, und führt von der Kleinstadt nach Berlin, und in dieser Inszenierung leider auch entlang überflüssige Figuren und Episoden.

Die Bühne ist ganz leer, bis auf ein Orchestrion: ein großes, mechanisches Musikinstrument, ähnlich einer Drehorgel, aber mit Klavier, Glockenspiel und Triangel. Mathis B. Nitschke schrieb eine neue Partitur für diesen besonderen Apparat, bald die Stimmung eines Jahrmarkts erzeugend, bald eine ganz eigene Magie herbeizaubernd, verstärkt von projizierten Schwarz-weißbildern aus dem Film ‘Berlin, Sinfonie einer Großstadt’.

Die Vorstellung von Regisseur Luk Perceval dauert lange, ist manchmal ein bisschen langweilig, aber in der letzte Stunde kommt dennoch alles zusammen. Durch seine Arbeitslosigkeit ist Pinneberg wie gelähmt, ein armer Slucker, der von der Polizei aus der Friedrichstraße fortgejagt wird. Er gehört nicht länger zu den normalen Menschen. Und zu Hause wartet Lämmchen. Ihrer beider Liebe ist das einzige, was ihnen noch helfen kann.

Die Heimkehr Pinnebergs zu Lämmchen ist so wunderbar gespield, wie man es selten erlebt im Theater. Paul Herwig und Annette Paulmann brauchen nur ein Minimum an Empfindungen um die große Tragödie ihrer Zuneigung in einer gleichgültigen Welt zu zeigen. Großartiges, zu Herzen gehendes Theater.

Rezension: ‘Der gute Mensch von Sezuan’ von der Schaubühne

deutsch,recensies — simber op 17 mei 2010 om 14:37 uur
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Was ist denn hier los? Die Regisseurin Frederike Heller inszeniert einen klaren, unterhaltsamen Guten Menschen von Sezuan, in dem sie fragt was es heißt ‘gut’ genannt zu werden, und fast alle deutschen Kritiker setzen die Vorstellung als ‘Veralberung’, ‘Mätzchen’ oder sogar als eine ‘Kasperleshow’ herab.

Am Anfang sieht die Bühne aus, als ob hier ein Konzert statt einer Theatervorstellung stattfinden soll: nur die Instrumente des Postrock Trios ‘Kante’ und einige Stuhle stehen herum. Die Darsteller speilen auf eine weise die ich nur als ‘niederländisch’ umschreiben kann: lässig und locker sprechen sie den Text Brechts, mit ironischer Distanz spielen sie die vielen Doppelrollen des Lehrstücks über die von den Göttern als ‘Guter Mensch’ ausgewählte Prostituierte Shen Te.

Aber die interessante Perspective der Regisseurin zeigt sich in dem Moment, als die drei Götter Sehn Te auswählen und ihr eine große Geldsumme schenken: ein Bühnenportal mit glänzendem Showvorhang senkt sich herab, glitzerndes Silberkonfetti wird gestreut. Als ‘Gute’ ausgesucht zu werden ist offensichtlich nich sehr viel anders als bei Deutschland sucht den Superstar zu gewinnen. Mit diesem Regieeinfall stellt Heller nachvollziehbar Brechts klaren Gegensatz zwischen Gut und Böse in Frage.

Die Kritiker sahen diese Showeffekte nur als oberflächliche Unterhaltung, aber Heller benutzt sie zugleich als Mittel und Zweck. Die drei Stunden sind richtig kurzweilig und geben dabei genugend Stoff zum Nachdenken.

Rezension: ‘Heuschrecken’ von Rimini Protokoll.

deutsch,recensies — simber op 12 maart 2010 om 19:14 uur
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Heuschrecken von Rimini Protokoll.
Konzept und Regie: Stefan Kaegi
Gesehen: 8. april in HAU3

Mehr als 8000 Aktöre! Das müß wohl die größte Besetzung sein, die ich je im Theater gesehen habe. Glücklicherweise braucht die Gruppe Rimini Protokoll sie nicht zu bezahlen, es reicht ein bischen Grünzeug.

Also das ist das neue Projekt der Dokumentartheatergruppe Rimini Protokoll: ein Riesenterrarium mit Tausenden von Heuschrecken. In einem von transparänter Plastik überspanten Rohr (Durchmesser vier Meter) ist eine hügelige Wüstenlandschaft aufgebaut. Das Publikum sitzt zu beiten Seiten. An den Enden befinden sich Techniker, ein Musiker und drei Naturwissenschaftler. Auf den ersten Blick weckt das die Neugier (es ist ein ‘high-concept’, wie man in Hollywood sagt), aber wie wird daraus Theater

Die Vorführung verfolgt drei Spuren: eine theoretische, eine historische und eine metaforische. Insektenforscher Dr. Jörg Samietz ist der Star des Abends. Er spricht über die biologischen Eigenschaften, Herkunft und Lebensweise der Heuschrecken und die Merkmale des ‘Systems’, wie er das Terrarium –inklusive seine Hüter und Zuschauer- nennt. Seine Vorlesung wird unterstützt von Kameraaufzeignungen aus dem Inneren des Terrariums, die auf zwei Leinwände übertragen werden. Dabei erklingt Cellomusik von Bo Wiget, mit elektronisch verzerrten Klängen.

Zwischendurch erzählt der Somalische Dr. Zakaria Farah seine Lebensgeschichte, von seiner Jugend in der Sahelzone bis zu seinen Forschungen im bereich der Lebensmittelchemie in der Schweiz. Die einzelne Zonen des Systems werden zu einer Gedächtnislandschaft, in Erinnerung an zeine Reisen nach China, Brasilien, Mexiko und Ägypten. Eindrucksvoll ist die Geschichte des alten Afrikaners über eine Heuschreckenplage die er in seiner Kindheit mitgemacht hatte, und wie der Lehrer in der Koranschule keine erklärung dafür finden konnte.

Schauspielerin Lara Körte sitzt etwas erhöht, mit Blick nach unten auf das System. Sie liest aus dem ‘Logbuch’ des Projects, aber auch aus der Bibel, den Offenbarungen des Johannes und die Plagen Ägyptens, wo Heuschrecken eine Hauptrolle spielen). Aber sie ist auch diejenige die immer wieder Vergleiche anstellt zwischen wie sowohl Heuschrecken als auch Menschen die Welt leer fressen. Das wird ein bischen zu deutlich als Samietz in das System hinein geht und an bestimmten Stellen essen niederlegt. Die Heuschecken stürzen wie irre oben und unten einander zusammen zu dieser Stellen, wo es Schilder gibt auf denen ‘Gold’, ‘Erz’ oder ‘Erdöl’ geschrieben steht. Im Zuschauer ergebt es ein kribbeliges Gefühl. So wirkt die Botschaft dieser Vorstellung leider doch zu öffentlich moralisierend.

Es ist immer interessant zu sehen wie sehr in Deutschland das Avantgarde-Theater mit dem politischen Raum verbunden ist, aber in dem derzeitigen Trend des ‘Sachtheaters’ hat es gelegentlich den Anschein dass die Theatermacher zufrieden sind mit einer ansprechenden Idee, die sie darauf ungenügend künstlerisch gestalten (wie z.B. Ruanda Revisited von Hans-Werner Kroesinger). Heuschecken hat allerdings ein wunderbares Moment: am Ende durchkreuzt die Astronomin Barbara Burtscher, die für die NASA arbeitet, in einem Astronautenanzug unbeholfen aber doch auch unverkennbar erhaben das Terrarium. Menschen und Heuschrecken: wir werden einander immer wie außerirdische erscheinen.

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